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Brief von Théo Kerg


Es hat mit einem Brief von meiner Mutter angefangen.

Ich muß ihnen vorher sagen, daß ich meine Mutter verehrte. Ich muß ihnen auch vorher sagen, daß ich Schüler an der Ecole des Beaux-Arts in Paris war und, daß ich den Eindruck hatte, dort meine Zeit zu vergeuden. Ich muß ihnen schließlich sagen, daß ich Kunstgeschichte und Archäologiegeschichte an der Sorbonne und am Institut für Kunst und Archäologie studiert habe und, daß ich das Glück hatte, ein Schüler von Basch, Picard und Focillon gewesen zu sein. Henri Focillon, der zu dieser Zeit dort an seinem Meisterwerk “Das Leben der Formen” arbeitete, begann eines Tages über die Formen von einem gewissen Paul Klee zu sprechen, der in Frankreich unbekannt war, außer in einigen Kreisen der Avantgarde.

Man muß gehört haben, wie Henri Focillon über die Form sprach, dessen Konzeption er revolutioniert hat, man muß den Charme und die Tiefgründigkeit seines scharfsinnigen Geistes erfahren haben, um zu verstehen, daß meine Wahl schnell getroffen war, als der Brief meiner Mutter ankam, um mir zu sagen, das Elend und die Boheme meiner Pariser Jugend aufzugeben und ihr den Gefallen zu tun, eine Stelle als Zeichenlehrer in Luxemburg anzunehmen. Um das zu erreichen, bräuchte man nur ein Studium an einer deutschen Akademie oder Universität für mindestens ein Jahr zu befolgen.

Ich entschied mich sofort für Düsseldorf, wo Paul Klee seit drei Jahren unterrichtete, nachdem er vom Bauhaus gekommen war. Ich nahm mein bescheidenes Gepäck und ich reiste nach Düsseldorf. Es war im Dezember 1932. An der Düsseldorfer Kunstakademie angekommen, wurde ich von Direktor Dr. Kaesbach empfangen (mit dem ich noch immer per Briefwechsel verbunden bin) und ich habe sofort meine Absicht geäußert, ein Schüler von Paul Klee zu werden.

Ich packte meine Zeichnungen aus, meine Entwürfe, meine Malereien von der Akademie, auf die ich nicht sehr stolz war. “Gehen wir zu Professor Paul Klee” sagte er mir. Und schon wandelten wir durch die langen Gänge. Unnötig Ihnen zu sagen, dass ich etwas Herzklopfen hatte.

Wir erreichten eine große Tür, das Atelier von Paul Klee. Ein Mensch von mittlerer Größe, bescheiden gekleidet, öffnet die Tür. Das was mich sofort überraschte, war seine sonnengebräunte Gesichtsfarbe und seine großen finsteren Augen, tiefsinnig, fragend unter einer großen Stirn. Er ließ uns eintreten. Dr. Kaesbach sprach über mich. Ich habe ihm meine Arbeiten aus der Ecole des Beaux Arts gezeigt. Er blickte lange darüber. Dann drehte er sich um, nahm ein weißes Blatt Zeichenpapier und fragt mich:” Können Sie mir dieses Blatt zum Leben erwecken, ihm einen Charakter geben?”

Ich sehe dieses weiße Papier noch vor mir, das genau so aussah wie Millionen andere. Es hypnotisierte mich. Ich hörte die Stille in dem hellen, unermesslich großen Atelier. Ich sehe noch die Gemälde, die Farben der Flecken, die noch nicht entzifferbaren Linien von Paul Klee, die an den Wänden tanzten. Ich fühle noch seinen großen ruhigen Blick, der auf mir lag, während die akademische Kaskade aller Kunstgriffe und Tricks der Académie des Beaux Arts: wie Kohlezeichnung, Brotkrumme, Lumpen, Wischer, Tuschezeichnung, usw., usw., in meinem Gedächtnis defilierte. Zwei Welten prallten in mir aufeinander, die eine, die ich kennen gelernt hatte und sich als falsch herausstellte, veraltet, ermüdet, ausgehöhlt, künstlich, leblos, ohne Poesie; die andere, die sich vor mir öffnete jung, nervig, lebendig, gefährlich, rätselhaft, unruhig, sarkastisch, spirituell. Das weiße Blatt vor mir hypnotisierte mich noch immer und ließ mich vor Kälte erstarren.

“Schauen Sie”, sagte mir Klee plötzlich,” man muss ihm diese fertige Zurichtung nehmen”, und indem er an das Waschbecken ging, wo noch das Geschirr herumlag, (er kochte für sich selbst) befeuchtete er das Blatt, knitterte es heftig, breitete es auf einem Löschpapier aus und sagte mir: ” Nehmen Sie einen großen Pinsel, tauchen Sie ihn in dieses Glas ein, nehmen Sie von den Aquarellfarben in diesem Farbtöpfchen und lassen Sie einen großen Tropfen auf das Blatt fallen.”

Ich folgte seinen Anweisungen. Ein großer Tropfen vom mittleren Cadmium fiel auf das Blatt. In den Vertiefungen und auf den Erhebungen der feinen Knicklinien begann die Farbe zu laufen oder da und dort stehen zu bleiben.

“Wiederholen Sie diesen Schritt, indem Sie einen Farbton darunter nehmen.” sagte mir Klee. Ein Tropfen Cadmium Orange fiel auf das Blatt und verteilte sich in alle Richtungen.

“Nehmen Sie eine Komplementärfarbe mit diesem kleinen Pinsel und machen Sie eine freie Bewegung, natürlich mit der Pinselspitze, berühren Sie nur wenig das Blatt.

Ich mache mein bestes ungeachtet meiner Emotion und ein blauer Strich verletzte die zwei geplatzten Sonnen umso heftiger, als das Blatt getrocknet war und die Linie hart und fein geworden war.

“Da sind zwei Scheiben einer Kartoffel. Benutzen Sie diese wie einen Stempel, indem Sie sie mit Farbe überziehen, die eine mit einer warmen Farbe, die andere mit einer kalten Farbe und schaffen Sie einen angepassten Rhythmus zu dem, was Sie tun wollen.” Welch ein Pädagoge!

Während ich mich sehr anstrengte, sah sich Klee meine Zeichnungen an, während er sich gleichzeitig mit Dr. Kaesbach unterhielt. Ja, ich bemühte mich. Das war sicher kein Meisterstück, das ich gerade fabrizierte. Übrigens mokierte sich Klee über das “Meisterstück”, es war ihm sehr wichtig, den Neuling durch diese Grundlagenarbeit zu bewerten.

Nach einiger Zeit schließlich kamen Klee und Dr. Kaesbach näher, um zu sehen, was ich gemacht hatte. “Das ist gut, Sie können zurückkommen und mich jederzeit besuchen, wenn es Ihnen paßt oder gar, wenn Sie irgendwelche Probleme haben,” sagt mir Paul Klee und hielt mir die Hand entgegen. Dann begleitete er uns zurück bis an die Tür des Ateliers.

Ich war gewaltig ergriffen durch diese erste Begegnung, ergriffen und aus der Fassung gebracht. Das war so verschieden von dem, was ich bis dahin gemacht hatte, daß es mir unmöglich war, sofort den ganzen Sinn zu begreifen.

Später hatte ich oft die Gelegenheit, Paul Klee zu besuchen, mit ihm zu sprechen und besonders ihn sprechen zu hören, seine Ratschläge zu hören. Er ist es, der mir die Augen und das Herz geöffnet hat. Er ist es, der mich aufmerksam gemacht hat auf die Formen, auf ihre Zusammenhänge, auf die Farben, auf ihre Zusammenhänge, auf ihr Eigenleben, auf ihre psychologische Wirkung, auf die Strukturen, auf die Texturen, auf die Qualität der Unterlage und auf alles, was einen Einfluss auf das Werk hat, das dabei ist zu entstehen.

“Das Werk ist schon ganz in der Unterlage enthalten”, sagte er.

Ich hatte das Glück, ihn während zwei Monaten zu sehen, zwei großartige und zwei schreckliche! Ich war arm, genau so arm wie beinahe alle meine Kameraden. Wir aßen einmal am Tag und waren immer hungrig. Deutschland war stark durchgeschüttelt, 12 Millionen Arbeitslose, überall Elend, die politischen und blutigen Demonstrationen, die Aufmärsche der Kommunisten, die Aufmärsche der Nazis. Das erste Auftreten von Hitler, die Straßenkämpfe, die Verhaftungen. Bis auf wenige Ausnahmen, wir waren alle Anti-Nazis.

Eines Tages wurde Dr. Kaesbach entlassen. Wir wurden im Festsaal zusammengerufen, um davon Kenntnis zu erhalten.

Ich war nicht nur jung und arm, ich war auch Kämpfer. Meine Teilnahme an den Demonstrationen war gewalttätig. Ich wurde verhaftet, ich wurde zur Polizeiwache geführt und wurde zu den Arbeitern, zu den Kommunisten, zu den Juden gesperrt, die die Polizei schon verhaftet hatte. Am folgenden Tag wurde ich abgeschoben. Am Abend kam ich in Luxemburg an.

Ich habe Paul Klee nicht mehr wieder gesehen, aber meine Anti-Nazi-Kameraden, die ich in den ersten Monaten des Jahres 1933 gerettet hatte, haben mir berichtet, wie Klee und alle anderen Professoren aus ihren Funktionen entlassen wurden.

Paul Klee ist tot.

Viele Kameraden sind ebenfalls verschwunden.

Aber diejenigen, die übrig geblieben sind und Paul Klee kannten, haben ihm ein Denkmal in ihren Herzen errichtet.

Paris, 6. März, 1958
Théo Kerg

Übersetzung: W. Weisshuhn / C. Kerg

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